London im Jahr 1953: Mr. Williams (Bill Nighy) ist ein Beamter, der streng nach Vorschrift handelt, jedweden Idealismus verloren hat und Vorgänge auch einfach zu den Akten legt, wenn sie sich nicht klären lassen. So wie die Petition einiger Damen, die die Stadt ersuchen, in ihrem Viertel einen Spielplatz zu bauen. Doch dann erhält Mr. Williams eine erschütternde Diagnose. Er hat nur noch wenige Monate zu leben. Nun muss er sich fragen: Hat er überhaupt jemals wirklich gelernt? Und könnte er es zumindest jetzt in seinen letzten Monaten?
„Living“ sieht aus wie ein Film, der vor langer Zeit entstand. Seine Geschichte indes hat an Aktualität nichts verloren. Mr. Williams steht stellvertretend für die vielen Menschen, die längst nicht mehr wissen, was es heißt, zu leben. Er ist im Alltagstrott versunken, die Arbeit ist alles, was ihn noch auszeichnet. Dabei ist Mr. Williams der geborene Bürokrat, an den nichts mehr herankommt. Wenn die Frauen mit ihrer Petition im Gebäude von Pontius zu Pilatus geschickt werden, nur um dann wieder dort anzukommen, wo sie begonnen hatten, hat das kafkaeske Züge.
Bill Nighy spielt die Selbstunterdrückung dieses Mannes mitreißend. Er spricht dünner und schwächer, als sonst, geradeso, als fiele es der Stimme von Mr. Williams schwer, den Körper zu verlassen. Mr. Williams ist ein Mahnmal und Inspiration zugleich. Sein Leben gemahnt dazu, zu hinterfragen, wo man selbst steht, und ob man wirklich lebt oder nur noch existiert. Sein Wirken der letzten Monate ist die Inspiration, es ihm gleichzutun. Nicht nur zu leben, sondern auch etwas bewegen zu wollen. Dabei macht er sich keine Illusionen. Wenn es ihm gelingt, den Spielplatz bauen zu lassen, hat er kein Monument hinterlassen, sondern nur etwas, das über kurz oder lang dem Verfall anheimfallen wird. Aber für den Moment, für das Leben der Menschen in diesem Viertel, hat er dann etwas bewegt und verändert. Sein Leben hatte einen Sinn.
(aus programmkino.de/Peter Osteried)
- Großbritannien 2022
- Regie: Oliver Hermanus
- mit Bill Nighy, Aimee Lou Wood, Alex Sharp, Adrian Rawlins, Hubert Burton
- Spieldauer: 102 Min
- frei ab 6
